Hufeisentheorie

Einer gemeinsamen Richtlinie mit der bayerischen Staatsregierung, der Bundesregierung, Staats- und Bundesbehörden folgend, haben wir beim bayerischen Verfassungsschutz in der Vergangenheit mit der sogenannten Hufeisentheorie gearbeitet, wenn es erforderlich war, auf eine theoretische Erklärung zurückzugreifen.

Die Hufeisentheorie geht davon aus, dass sich das politische Spektrum einer Gesellschaft mit einem Hufeisen vergleichen lässt. Während die angeblich gemäßigten Kräfte – also die meisten Parteien und ihre Anhänger*innen – in der Mitte des Hufeisens angesiedelt sind, ist die radikale Linke, ebenso wie die extreme Rechte an den Rändern des Hufeisens zu verorten (jeweils links bzw. rechts). Soweit ein ziemlich unbrauchbares Modell. Der Nutzen für die Vertreter*innen dieser Theorie liegt jedoch darin, dass sie es erlaubt, radikale Linke mit extremer Rechten gleichzusetzen, denn die Enden eines Hufeisens bewegen sich wie Sie wissen aufeinander zu. “Linksextremismus” ebenso wie “Rechtsextremismus” seien also wesensverwandt, argumentieren die Vertreter*innen der Hufeisentheorie. Statt also die inhaltlichen Ziele in den Fokus zu rücken, beschränkt man sich bei der Hufeisentheorie darauf, Personen als “extremistisch” abzustempeln.

Das hat viele Vorteile, wenn man es aus der Perspektive eines Staates betrachtet, der die radikale Linke ebenso wie die extreme Rechte bekämpfen will – oder sich zumindest den Anschein geben will. Wenn alles, was von einer bestimmten Norm abweicht, Extremismus ist und unabhängig von seinen eigentlichen Zielen betrachtet wird, ist es nicht länger erforderlich, zu begründen, warum eine Abschaffung des Staates und die Errichtung einer befreiten Gesellschaft nun um alles in der Welt so verachtenswert sein soll.

Stattdessen vergleicht man einfach die gegen Menschen gerichtete Gewalt militanter Neonazis mit Brandanschlägen militanter Linker auf Autos – was übrigens entgegen des Eindrucks den man dabei gewinnen muss, gar nicht so häufig vorkommt, oder wurden Sie jemals Opfer eines solchen Brandanschlags, bzw. kennen Sie ein solches Opfer persönlich? Dass dabei das Leben und/oder die körperliche Unversehrtheit eines Angehörigen einer marginalisierten Gruppe gleichgesetzt wird mit der Unverletzlichkeit von Eigentum passt dabei sehr gut zu der rechten Hetze, mit der der Staat in offiziellen Statistiken Ressentiments gegen bestimmte Gruppen von Menschen schürt.

Die Hufeisentheorie ist also nichts anderes als ein propagandistisches Werkzeug, das dazu dient, Personen der radikalen Linken zu verhetzen und zugleich Neonazis und andere extreme Rechte zu verharmlosen. Das theoretische Potenzial zur Erklärung von “Phänomenen” wie Linksradikalismus oder Neonazismus dieser Theorie ist dagegen äußerst gering bis gar nicht existent.